WTO / Handelspolitik
Hintergrund/Bedeutung der Handelspolitik
Die WTO (World Trade Organization, Welthandelsorganisation) ist ein
internationales Zoll- und Handelsbündnis, dem mittlerweile 146
Staaten angehören. Das Hauptziel des Zusammenschlusses ist ein
weltweiter Abbau von Handelshemmnissen, die Ausweitung und Verbesserung
der multilateralen Handelsnormen und die Einbeziehung neuer Themen wie
den Umweltschutz. Gleichzeitig soll den Herausforderungen der Globalisierung
Rechnung getragen werden, indem ein Interessenausgleich zwischen den
Industriestaaten und den Entwicklungsländern gefunden wird. Hierzu
gibt es regelmäßig Verhandlungsrunden, bei der die (Handels-)
Minister der WTO-Staaten konferieren und über internationale Handelsvereinbarungen
verhandeln. Die letzte Ministerkonferenz fand vom 10.-14. September
in Cancún/Mexiko statt. Wegen ihres vorzeitigen Abbruchs ("Das
Scheitern von Cancún") steht die Zukunft der internationalen
Handelspolitik derzeit verstärkt in der Diskussion.
Die EU spielt in diesem Zusammenhang insofern eine Rolle als die Handelspolitik
zu den Gemeinschaftskompetenzen der EU gehört. Nach der Rechtsprechung
des EuGH sind die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission zu einer engen
Zusammenarbeit verpflichtet, um ein einheitliches Auftreten im Rahmen
der Welthandelsorganisation sicherstellen zu können. Die einzelnen
Mitgliedstaaten sitzen daher bei den WTO-Verhandlungen nicht einzeln
am Verhandlungstisch, sondern werden gemeinsam von der EU-Kommission,
namentlich durch den Handelskommissar Pascal Lamy, vertreten. Die Strategie
der EU und die generelle Verhandlungsführung der EU-Kommission
wird durch ein Mandat festgelegt, das der Rat der 15 EU-Mitgliedstaaten
vor den Verhandlungen einstimmig beschließt. Dieses Mandat enthält
die Forderungen und Angebote, die die EU bei den WTO-Verhandlungsrunden
einbringen will. Bei den WTO-Abstimmungen hat die EU 15 Stimmen.
Für Deutschland hat die internationale Handelspolitik eine große
Bedeutung, weil unsere Volkswirtschaft in hohem Maße exportabhängig
ist. Seit vielen Jahren ist Deutschland das Land, das nach den USA den
zweitgrößten Anteil am weltweiten Austausch von Waren und
Dienstleistungen hat. Jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland befindet
sich in einer stark auf Exporte ausgerichteten Branche. Deutsche Unternehmen
erzielen etwa ein Drittel ihrer Umsätze durch Handel mit ausländischen
Geschäftspartnern. Insofern gehört die Verbesserung des Zugangs
zu ausländischen Märkten zu den Prioritäten der deutschen
Außenhandelspolitik.
Arbeitsfelder der WTO
Es gibt drei große Arbeitsfelder der WTO: GATT (General Agreement
on Tariffs and Trade - der Handel mit Gütern), GATS (General Agreement
on Trade in Services - der Handel mit Dienstleistungen) und TRIPS (The
Agreement on Traderelated Aspects of Intellectual Property Rights -
der Handel mit geistigem Eigentum).
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Stand der WTO-Verhandlungen im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde
Vom 10. bis 14. September 2003 fand die fünfte WTO-Ministerkonferenz
in Cancùn, Mexiko statt. Die Verhandlungen (auch "Doha-Entwicklungsrunde"
genannt, da sich die Minister 2001 auf einer Konferenz in Doha auf einen
Verhandlungszeitraum von 2001 bis 2005 einigten) wurden vorzeitig abgebrochen
- substantielle Resultate gab es nicht. Die Ursachen des Scheiterns
von Cancùn waren vielfältig, doch die Landwirtschaftspolitik
und die vier sog. Singapur-Themen (Handel und Investitionen, Handel
und Wettbewerb, Transparenz im öffentlichen Auftragswesen und Handelserleichterungen)
haben eine zentrale Rolle gespielt (im Einzelnen siehe unten). Der Allgemeine
Rat der WTO traf sich am 15. Dezember 2003 in Genf, wo die Wiederaufnahme
der WTO-Verhandlungen im Frühjahr 2004 auf Beamtenebene beschlossen
wurde. Alle Teilnehmer signalisierten, dass sie die Verhandlungen so
bald wie möglich wieder aufnehmen wollen. Am 23. Januar fand ein
Mini-Ministertreffen (30 der 146 WTO-Länder waren vertreten) am
Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos statt, aus dem die Teilnehmer
optimistisch bezüglich der Wiederaufnahme der WTO-Verhandlungen
heraus gingen.
Position und Aktivitäten der SPE-Fraktion
Ziele der SozialdemokratInnen im Europäischen Parlament sind die
gerechte Verteilung des Reichtums in der Welt, ein fairer Welthandel
und eine nachhaltige Entwicklung. Der EU kommt als größter
Handelsmacht der Welt bei den WTO-Verhandlungen eine besondere Verantwortung
zu. Es geht darum, die Globalisierung zu gestalten und eine faire Teilhabe
aller zu erreichen. Genau in diesem Sinne müssen die WTO-Verhandlungen
genutzt werden. Internationale Handelsregeln müssen einen fairen
Handel ermöglichen. Ärmere Länder müssen beispielsweise
besseren Zugang zu den Märkten der Industrieländer erhalten,
damit ihre Entwicklungschancen optimiert werden. Gleichzeitig muss das
wichtige wirtschaftliche Interesse der Europäischen Union, Europas
Exportchancen zu verbessern, garantiert werden. Denn vernünftige
und ausgewogene Verhandlungsergebnisse bieten die Chance, die Voraussetzungen
für neue Arbeitsplätze und einen vermehrten Wohlstand für
die BürgerInnen der EU und ihre Handelspartner zu schaffen. Weiterhin
sind die Verhandlungen die Grundlage, um die europäischen Sozial-
und Umweltstandards zu verteidigen und voranzubringen. Die SPE-Fraktion
drängt daher auf die rasche Fortsetzung der Verhandlungen und unterstreicht
ihren Glauben an die nutzbringende Rolle des Handels.
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Die Fraktion betont dabei folgende Punkte:
- Die neue Handelsrunde muss eine Entwicklungsrunde sein; dies gilt
insbesondere vor dem Hintergrund des UNO-Milleniumsziels, den Anteil
der in absoluter Armut und Hunger lebenden Menschen bis 2015 zu halbieren.
- Es müssen Verhandlungen zu den Themen Umweltschutz und Ernährungssicherheit
geführt werden.
- Das Recht auf Zugang zu Medikamenten in den Entwicklungsländern
muss anerkannt werden.
- Entwicklungsländer müssen rasch besseren Zugang zu den
Märkten der Industrieländer erhalten, insbesondere in stark
geschützten Bereichen wie der Landwirtschaft, gleichzeitig muss
der vorhandene präferenzielle Marktzugang für die am wenigsten
entwickelten Länder beibehalten werden.
- Demokratie und Offenheit in der WTO müssen gestärkt werden.
Damit diese Ziele auch erreicht werden, pflegen die SozialdemokratInnen
im Europäischen Parlament u.a. enge Kontakte zu den WTO-Verhandlungsführern
- sprich der Kommission und dem Handelskommissar Pascal Lamy. Viele
EU-Initiativen, die im Rahmen der WTO-Verhandlungen aufgenommen wurden,
wurden von der SPE-Fraktion initiiert - beispielsweise die "Alles-außer-Waffen"-Initiative
(Einzelheiten s.u.) oder die von der EU nachdrücklich vertretene
Position, dass ohne Verhandlungen zu Handel und Umwelt die Konferenz
scheitern würde.
Auch die Tatsache, dass im Konvent die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit
gelenkt wurde, dem Demokratiedefizit in der EU-Handelspolitik abzuhelfen,
indem dem Europäischen Parlament formal Kompetenzen bei der Aufnahme
und dem Abschluss internationaler Handelsabkommen eingeräumt werden,
geht auf den kontinuierlichen Druck der Abgeordneten des EP unter Führung
der SPE-Fraktion zurück.
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Aktueller Verhandlungsstand in einzelnen (ausgewählten)
Sachgebieten
Landwirtschaft:
Die Verhandlungen im Rahmen der Landwirtschaft haben drei Schwerpunkte:
Marktzugang zu bzw. Öffnung der Agrarmärkte - also Senkung
der Zollabgaben; Abbau der heimischen Agrarsubventionen und schließlich
die Problematik der internen Stützung - also die Reduzierung von
Exportförderungen für Agrarprodukte. Durch die Subventionen
kommt es weltweit zu Wettbewerbsverzerrungen und Handelserschwernissen.
Diese sollen beseitigt werden. Die EU und die USA legten zur Ministerkonferenz
von Cancùn ein gemeinsames Papier vor, das eine größere
Verhandlungsflexibilität im Bereich interne Stützung vorsah.
Außerdem beruhte es auf einer Annäherung in den Bereichen
Marktzugang (differenzierte Zollsenkung unter Berücksichtigung
sensibler Produkte) und Exportwettbewerb (Gleichbehandlung aller Formen
von Exportsubventionen). Eine Einigung zu der Gegenposition einer Gruppe
von 21 Entwicklungs- und Schwellenländern kam in Cancùn
jedoch nicht zustande - es wird lediglich von einer Annäherung
im Bereich Marktzugang berichtet. Hinsichtlich des Exportwettbewerbs
sei man sich zwar generell über die Notwenigkeit der Senkung und
Beseitigung jeder Form von unlauterer Beihilfe einig, Schwierigkeiten
gebe es allerdings hinsichtlich des Zeitplans der endgültigen Abschaffung
von Beihilfen.
Die EU bekräftigte nach dem Treffen in Genf, dass sie für
eine Einschränkung der handelsverzerrenden (internen) Stützungsmaßnahmen
eintritt. Hierbei sollen vorrangig die sog. Amber-Box-Maßnahmen
beseitigt werden (Es gibt eine Unterteilung in sog. "Amber-Box-",
"Blue-Box-" und "Green-Box-" Maßnahmen, wobei
die Amber-Box-Maßnahmen als produktbezogene eine deutlich handelsverzerrende
Wirkung haben, Green-Box-Maßnahmen hingegen haben kaum oder gar
keine verzerrende Wirkung). Zudem vertritt sie die Auffassung, dass
alle Ausfuhrsubventionen parallel abgebaut werden müssen. Hier
habe die EU vorgeschlagen, dass sie bei einer Reihe von Erzeugnissen,
die für die Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung sind,
alle Formen von Ausfuhrsubventionen auslaufen lassen. Allerdings erwarte
man hier auch ein entsprechendes Entgegenkommen von den Verhandlungspartnern,
deren Antwort allerdings noch aussteht.
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Zugang zum Markt für Industrieprodukte:
Nach den Vorschlägen der EU sollen unter anderem höchste und
hohe Zollsätze beseitigt und die Zollprogression maßgeblich
reduziert werden. Hierdurch wird eine weitere Liberalisierung des Handels
mit nicht landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die mehr als 70% der Ausfuhren
der Entwicklungsländer ausmachen, begünstigt. Weitere "entwicklungsländerfreundliche"
Vorschläge sind die Beseitigung aller Ausfuhrbeschränkungen
für Rohstoffe sowie ein erheblich radikalerer Abbau der Zölle
auf Textilwaren und Schuhe (sog. Sektoransatz). Für alle Produkte
(außer Waffen), die aus den 48 ärmsten Länder der Welt
stammen, will sich die EU verpflichten, alle Quoten und Zölle aufzuheben
und ihren Markt vollständig zu öffnen (sog. "Alles-außer-Waffen-Initiative").
Weiterhin soll die Aufnahme von weiteren Entwicklungsländern in
die WTO erleichtert werden, um eine komplette Integration in das Welthandelssystem
zu erreichen.
Auch hier konnte man sich in Cancún nicht einigen. Die Unstimmigkeiten
betreffen hier beispielsweise die Formel, nach der die Zollsätze
gekürzt werden sollen. Den sog. Sektoransatz lehnen viele Entwicklungsländer
ab, sondern fordern weitreichende Handelserleichterungen.
Die neuen, sog. Themen von "Singapur"
Hier wurde zwar mit der Debatte begonnen, ein Konsens wurde allerdings
ebenfalls nicht gefunden. Die Aufnahme der Themen hätte eine Ausweitung
der WTO-Agenda auf Bereiche bedeutet, die tiefgreifende Auswirkungen
auf die nationalen Wirtschaftspolitiken haben. Die Entwicklungsländer
lehnten eine Verhandlungsaufnahme zu den Singapur-Themen aufgrund grundsätzlicher
Bedenken ab. Zugleich sehen viele Entwicklungsländer schon die
bestehenden Abkommen und deren Reichweite kritisch. Vielfach sind sie
der Umsetzung auch einfach aus Kapazitätsmängeln nicht gewachsen.
Aber auch andere handelspolitische Prioritäten des Südens
führten zur Ablehnung der Verhandlungen. Die EU hatte (unter anderen
"Geberländern" landwirtschaftlicher Subventionen) angedeutet,
auf die Verhandlung der Singapurfragen zu verzichten, wenn sich die
Entwicklungsländer im landwirtschaftlichen Bereich versöhnlicher
zeigten. Dieses Angebot konnte das Scheitern der Verhandlungen aber
offensichtlich nicht verhindern.
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Dienstleistungen
Bei den sog. GATS-Verhandlungen geht es um die Öffnung von Dienstleistungen
für ausländische Anbieter. Es geht also nicht um die Deregulierung
von Dienstleistungen, von denen viele aus verschiedenen Gründen
streng reguliert sind - z.B. wegen der Gewährleistung des gleichberechtigten
Zugangs zu öffentlichen Dienstleistungen, deren Qualitätsanforderungen
oder des sozialen und territorialen Zusammenhalts. Das Verhandlungssystem
von GATS ist dabei flexibel: Jeder Staat kann frei darüber entscheiden,
ob und zu welchem Dienstleistungsbereich er seine Forderungen und Angebote
macht oder nicht, hat also den Grad der Liberalisierung in den jeweiligen
Dienstleistungsbereichen individuell in seiner Hand. Die Bedingungen,
die für ausländische Anbieter gelten (sollen), können
sich dabei von denen für inländische Anbieter unterscheiden.
Der Dienstleistungssektor ist für die EU von großer Bedeutung,
weil rund zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes auf den Dienstleistungssektor
entfallen. Mehr als 67 Millionen Europäer sind im Bereich der kommerziellen
Dienstleistungen beschäftigt. Gleichzeitig muss aber Sorge dafür
getragen werden, dass die Qualität der Dienstleistungen gewährleistet
bleibt. Der Vorschlag der EU im Rahmen der GATS-Verhandlungen lässt
daher die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen in der EU sowie
das Recht der EU auf eine angemessene Regulierung des Dienstleistungssektors
unberührt. Es werden beispielsweise keine zusätzlichen Verpflichtungen
in den sensiblen Bereichen Gesundheit, soziale Dienstleistungen, Trinkwasserverteilung
und Bildung vorgeschlagen (im Bildungssektor wurden in der letzten Verhandlungsrunde
Liberalisierungen für private Universitäten und Bildungseinrichtungen
vereinbart, die aber in der aktuellen Verhandlung nicht ausgeweitet
werden sollen). Neue sektorale Verpflichtungen werden insbesondere für
Post-/Kurier- und Transportdienstleistungen vorgeschlagen.
Weiterhin wird eine moderate Ausweitung für die Dienstleistungserbringung
durch natürliche Personen vorgeschlagen wie z.B. die Anhebung der
Höchstaufenthaltsdauer, die allerdings nur auf die Kategorien Manager,
Spezialisten, business visitors sowie vertragliche DL-Erbringer in den
Bereichen Architekten, Ingenieure, Computer-Dienstleistungen beschränkt
ist. Darüber hinaus sind weitere Schutzmechanismen vorgesehen,
um die nationalen Arbeitsmärkte zu schützen: u.a. bleibt die
Prüfung, ob die geforderten Berufsqualifikationen vorliegen, in
nationaler Hand. Außerdem kann eine numerische Obergrenze für
Arbeitnehmer aus Drittstaaten fest gelegt werden.
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Transparenz
Ein Vorwurf, der im Zusammenhang mit den WTO-Verhandlungen oft aufkommt,
ist der Mangel an Transparenz. Der Konflikt besteht hierbei zwischen
der Verpflichtung der Öffentlichkeit über den Stand der Verhandlungen
und der Wahrung der Verhandlungsposition gegenüber den WTO-Verhandlungspartnern.
Das Transparenzproblem hängt auch mit dem generellen Fehlen formalrechtlicher
Kompetenzen des Europäischen Parlaments in der Handelspolitik zusammen.
Einen Vorschlag zur Behebung dieses Defizits hat das Europäische
Parlament in die Arbeiten des Europäischen Konvents über eine
zukünftige EU-Verfassung eingebracht. Es fordert ein formales Recht
auf vollständige Information und auf Zustimmung zu den internationalen
Handelsverträgen.
Auch das BMWA als innerhalb Deutschlands federführendes Ministerium
bei den WTO-Verhandlungen setzt sich für weitgehende Transparenz
bei den Verhandlungen ein. Der Bundestag wird laufend über den
aktuellen Fortgang der WTO-Verhandlungen informiert. Zudem wird die
Zivilgesellschaft regelmäßig zu Informations- und Diskussionsveranstaltungen
über die Verhandlungen geladen. An diesen Veranstaltungen, die
mehrmals jährlich stattfinden, nehmen Nichtregierungsorganisationen,
Gewerkschaften und Verbände teil.
Das BMWA hat eine Zusammenfassung des EU-Angebotsentwurfes im letzten
Jahr unverzüglich nach Übermittlung durch die Kommission an
die Zivilgesellschaft weiter geleitet und diese unter anderen gedrängt,
das in Genf vorgelegte Angebot im Internet zu veröffentlichen
(http://europa.eu.int/comm/trade/services/index_
en.htm) .
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