Ende des Gerangels - Europa blickt nach vorn! Veröffentlicht: 18.12.2009 Der Europabrief Nr. 47 ist erschienen. Hier der einleitende Beitrag:
Nach fast zwei Jahren des Tauziehens um die Ratifizierung ist am 1. Dezember der neue Grundlagenvertrag für die Europäische Union in Kraft getreten. Für mich als Europaabgeordneten ist der Lissabon-Vertrag ein historischer Meilenstein. Die Europäische Union wird durch die neuen Spielregeln nicht nur handlungsfähiger, sondern vor allem demokratischer. Das Europäische Parlament ist ab sofort gleichberechtigter Gesetzgeber neben dem Ministerrat. Konkret heißt das, dass wir als gewählte Volksvertreter in fast allen Politikbereichen mitentscheiden und europäische Gesetze mitgestalten.
Wie dringend notwendig diese Reform war, hat gerade das jüngste SWIFT-Abkommen gezeigt. Mit diesem Abkommen erhalten die USA Zugriff auf Finanzdaten europäischer Bürger und Unternehmen. Einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags haben die EU-Innenminister das SWIFT-Abkommen durchgedrückt. Dieses Vorgehen hat mir und vielen meiner Parlamentskollegen die Sprache verschlagen. Es war klar, dass das Europäische Parlament einer solchen weitreichenden Maßnahme nicht ohne Korrekturen zugestimmt hätte. Genau deshalb haben die Minister das Abkommen noch in letzter Sekunde nach altem Recht beschlossen. Ungeheuerlich! 12 Stunden später hätte das Vorgehen den Regelungen des Lissabon-Vertrages unterlegen, und das Parlament hätte zustimmen müssen. Diese Art der Bevormundung gehört von nun an der Vergangenheit an.
Der Vertrag von Lissabon bringt nicht nur mehr Rechte für das Europäische Parlament, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger aller Mitgliedstaaten, so können diese beispielsweise ihre Grundrechte erstmals auf europäischer Ebene einklagen. Mit der Einführung eines europaweiten Bürgerbegehrens können sich die Europäerinnen und Europäer direkt ins politische Geschehen einmischen und die Europäische Kommission zwingen, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen.
Die Parlamente der Mitgliedstaaten sind zukünftig ebenfalls stärker einbezogen und fungieren als "Hüter der Aufgabenteilung". Sie werden nun zeitgleich mit dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament über die Gesetzgebungsvorschläge der Europäischen Kommission informiert und können Einspruch erheben, wenn sie meinen, ein Vorhaben greife in die Kompetenz der Mitgliedstaaten ein. Das Subsidiaritätsprinzip wird also stärker zur Geltung gebracht.
Europa wird mit vereinfachten Arbeitsmethoden und Abstimmungsregeln effizienter. Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit statt bisheriger Einstimmigkeit werden auf neue Politikbereiche ausgedehnt. Ab 2014 wird die qualifizierte Mehrheit nach der doppelten Mehrheit von Mitgliedstaaten und Bevölkerung berechnet. Die doppelte Mehrheit ist dann erreicht, wenn im Ministerrat 55% der Mitgliedstaaten, die gemeinsam mindestens 65% der europäischen Bevölkerung repräsentieren, zustimmen. Das neue Abstimmungsverfahren berücksichtigt die Gleichheit der Mitgliedstaaten und die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger. Nach dem alten Abstimmungsverfahren waren taktische Blockaden und machtpolitisch motivierte Koalitionen möglich. Das ist mit der doppelten Mehrheit nicht mehr der Fall. Schließlich sieht der Vertrag von Lissabon erstmals auch die Möglichkeit zum Austritt eines Mitgliedstaates aus der Union vor.
Auch auf internationaler Ebene bieten sich neue Möglichkeiten. Mit der britischen Sozialdemokratin Catherine Ashton hat die EU ihre erste gemeinsame Außenministerin und kann nach außen mit einer Stimme sprechen. Bei weltweiten Verhandlungen bringt uns dies Effektivitäts- und vor allem auch Glaubwürdigkeitsgewinne.
Wir haben lange um diesen Vertrag gekämpft. Natürlich hätte ich das Inkrafttreten der neuen Regelungen lieber früher gesehen. Aber die Diskussionen um den Vertrag und die gerichtlichen Klärungsprozesse in einigen Mitgliedstaaten waren notwendig, um die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erhalten. Nun gilt es, dieses historische Vertragswerk mit Leben zu füllen und zu beweisen, dass es den Herausforderungen gewachsen ist, die an unsere 27 Staaten zählende Gemeinschaft gestellt werden. Mit diesem neuen Fundament verfügt die Europäische Union für das vor uns liegende Jahrzehnt über ein Mittel, die Weichen für die Zukunft in die richtige Richtung zu stellen.
Mit diesen hoffnungsfrohen Erwartungen wünsche ich Ihnen und Ihren Familien eine schöne Weihnachtszeit und für 2010 beste Gesundheit und viel Glück!
Ihr
Norbert Glante
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